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Warum Utopien?
Im Krisen- und Gewohnheitsmodus erscheinen Strukturen und Systemlogiken oft alternativlos. Positive Zukunftsvisionen und Utopien ermöglichen, sich von der Alternativlosigkeit und vermeintlichen Sachzwängen abzuwenden und das Ideal einer zukunftsfähigen Gesellschaft zu beschreiben und zu verfolgen. Eine schönere Welt - nachhaltig und gerecht - ist möglich. Wir können sie mit unserem Denken, Handeln und Sein selbst schaffen und gestalten. Dazu braucht es Utopien, welche die zahlreichen Möglichkeiten von Zukunft ergründen und eigene Gestaltungsspielräume sichtbar machen.
Beim Blick auf Diskurse zu Zukunftsthemen fällt jedoch auf: Inspirierende Beiträge fehlen meistens. Ob im Fernsehen, in Zeitungen und Magazinen oder in politischen Veranstaltungen: Entweder wird abstrakt-technisch argumentiert, etwa über Emissionskurven, CO2-Preise oder technologische Innovationen als Allheilmittel. Oder es werden dystopische Bilder von den Folgen der Klimakrise und des Artensterbens entworfen. Das schürt genauso Angst wie die Narrative der Gegenseite, die vor hohen Heizkosten oder wirtschaftlichen Nachteilen für Deutschland warnen. Viele Menschen fühlen sich deshalb hilf- und perspektivlos und wollen nichts weiter vom Thema wissen. Dabei könnte die Botschaft genauso gut lauten: Wir werden besser leben!
Mit meinen Kolleg:innen von Reinventing Society arbeite ich daher an der Entwicklung und Verbreitung von positiven Zukunftsvisionen. Mehr Infos zu unserem Ansatz und unseren Angeboten finden sich auf unserer Organisationswebsite.
Die Kraft der Utopie
Utopien wohnt seit jeher eine kognitive und emotionale Kraft inne, die es vermag, Menschen auf ein gemeinsames Ziel auszurichten und Veränderungen anzustoßen.
Utopien sind keine schlaraffischen Vorstellungen. Sie sind auch kein linkes oder rechtes Literaturgenre. Sie sind auch keine Astrologie oder Futurologie. Utopien sind Leitbilder, die anschaulich machen, dass eine andere Welt möglich ist und wie sich das (Alltags-)leben in ihr anfühlt. Utopien machen Zukünfte greifbar. Lösungsorientiert verankern sie Dimensionen einer möglichen Zukunft in unserer Psyche und sind daher eine unverzichtbare Ressource für soziale Prozesse und Projekte. Ohne sie driften wir Menschen in reaktionäre Haltungen, werden zum Opfer apokalyptischer und energieraubender Narrative oder erstarren angesichts der Herausforderungen.
Die positive Wendung der weltweiten Krisenlage kann nur dann Erfolg haben und gesellschaftliche Unterstützung mobilisieren, wenn das Neue in Form von positiven Zukunftsbildern ermutigt, es Lust macht auf Neues („Das will ich auch!“) und positive Veränderung real erfahrbar wird. Bisher fehlen in der Öffentlichkeit wie im Privaten diese Zukunftsentwürfe, die - fern von Parteizugehörigkeit und Ideologie - wünschenswerte gesellschaftliche Veränderungen skizzieren, pilotieren und skalieren.
Realutopien enthalten nächstbessere Logiken
Es gibt bereits zahlreiche Lösungskonzepte, Prinzipien, Werkzeuge und Methoden, die Wege zu einer Transformation eröffnen. Diese sind häufig jedoch fragmentiert, in Nischen verborgen und bisher nicht gesamtgesellschaftlich bekannt, verbreitet und sichtbar. Konkrete utopische Ansätze, die bereits gelebt oder praktiziert werden, nennen wir Realutopien. Realutopien sind zukunftsweisende Ansätze für die Verwirklichung einer lebenswerten, regenerativen und gerechten Gesellschaft, die praktisch umsetzbar sind oder im Kleinen bereits existieren und skaliert werden könnten. Durch die Orientierung an Realutopien können Ängste vor der Zukunft vermindert und die gesamtgesellschaftliche Energie besser auf die Entdeckung von Lösungswegen konzentriert werden.
Die „Realutopie“ (real = nicht nur in der Vorstellung so vorhanden; gegenständlich) vereint als Oxymoron zwei Gegensätze: das Hier-und-Jetzt und den utopischen Zukunftsort. Durch die reale Manifestierung utopischer Prinzipien einerseits und eine nie aufhörende Weiterentwicklung und Offenheit andererseits gelingt ihr die Quadratur des Kreises. Daher sind Realutopien Rüstzeug auf der Reise ins Morgen, oder anders gesagt, sie sind wertvolle Wegmarker auf unseren Transformationspfaden. Reinhold Messner, der berühmte Extrembergsteiger, hat dies einmal sehr anschaulich erklärt: „Wer Ideen nicht nur hat, sondern sie wachsen lässt, zu Realutopien formt und dazu Kraft, Ausdauer und Stehvermögen einbringt, diese in die Tat umzusetzen, verändert immer etwas. So mache ich als Visionär aus der Zukunft eine erlebbare Vergangenheit.“
Realutopien werden auf allen gesellschaftlichen Ebenen sichtbar – vom Privaten bis ins Öffentliche. Aktuelle Realutopien sind beispielsweise Teal Organisations und Sozialunternehmen, 3D Printing von Häusern, Aquaponik, energieautarke Bauwerke aus Holz mit begrünten Dächern, Urban Gardening, kostenfreie Leihfahrräder, cradle2cradle Produkte, Bürger:innenräte, solidarische Landwirtschaft (SoLaWi), Permakultur-Landwirtschaft und Syntropic Farming, Repair-Cafés, Transition Towns, foodsharing, der Happy Planet Index (der dem GDP einiges voraus hat) oder Meditationsunterricht und projektbasierte Lehrpläne an Schulen.
Realutopien sind auch nicht als absolut zu verstehen – sie enthalten eben nur die nächstbesseren Logiken für ein schönes und wünschenswertes Leben.
Utopie und Eutopie
Per Definition sind Utopien fiktive Orte. Man kann sie sich auch vorstellen als Aussichtspunkte. Von ihnen können wir auf die vergangene Gegenwart schauen und der Frage nachgehen, wie bestimmte Hürden damals überwunden wurden und welche Schritte zu gehen sind. Das Wort „Utopie“ leitet sich aus dem Griechischen ab und bedeutet so viel wie „an keinem Ort“ (ou = nicht; tópos = Ort). Korrekter wäre eigentlich das Wort „Eutopie“, das einen guten oder schönen Ort beschreibt (eu = gut). Aufgrund der im Englischen identischen Aussprache von utopia and eutopia wurde der Begriff Eutopie über die Zeit jedoch verdrängt.
Gefahren von Utopien
Politische Utopien werden dann problematisch, wenn sie fertige Ziele vorsetzen, die potenziell identitätsstiftende Kraft von Hetze gegenüber Dritten und Herabsetzung anderer Gruppen ausnutzen, Menschen und Nationen spalten und wissenschaftliche Grundlagen negieren. Oft wecken solche Visionen Sehnsüchte; diese sind aber wie jüngere Beispiele autokratischer Populisten zeigen ausschließend und destruktiv. Wie Orwell (1984, 1949) und Huxley (Brave New World, 1932) eindrucksvoll zeigten, können sich so utopische Träume von Links oder Rechts in dystopische Schreckenswelten verwandeln.
Utopien, welche die zentralen Prinzipien der Selbstbestimmtheit des Menschen über Bord werfen und die eigene Vision auf machiavellistische Weise als die einzig Wahre darstellen, sind höchst gefährlich. Das gilt auch für soziale Experimente repressiver politischer Regime, die Menschen zu perfekten Wesen erziehen wollen und eine korrekte Lebensweise vorschreiben. Insbesondere auch deswegen möchten wir mit Realutopien einen neuen, hoffnungsstiftenden Weg einschlagen.
Utopien müssen unfertig, offen und integral sein
Bei der Erarbeitung von Utopien ist es essenziell, Werte und Ziele nicht zu verabsolutieren und als wahr oder final festzuschreiben. Vielmehr geht es um die Entwicklung bestimmter Logiken und Lösungswege, die gesellschaftlichen Herausforderungen begegnen.
Utopien müssen immer unfertige Vorschläge für eine bessere Welt bleiben und offen sein für unterschiedliche und marginalisierte Perspektiven. Sie müssen bereit sein, neue Bedürfnisse und gesellschaftliche Veränderungen aufzugreifen, konstruktive Kritik einladen und sich permanent selbst in Frage stellen. Solche Utopien als inspirierende Einladungen in neue Denkräume und Möglichkeiten können maßgeblich zur zivilisatorischen Weiterentwicklung zur Verwirklichung von Glück, Frieden und planetarem Gleichgewicht beitragen.
Dann können sie ihre transformative Kraft entfalten, indem sie menschliche Kreativität entzünden und grundlegende Innovationen ermöglichen - auf dem Weg in eine schönere Welt.