Mein Geld ist dein Geld - Gründung einer Finanzkooperative, Teil 1

Die Entstehung der Idee

Im November las ich auf dem Blog der Triodos Bank den Artikel „Die Geld-Revolution aus der WG-Küche“ über eine Finanzkooperative, die aus einer früheren WG hervorgegangen war und bei der seit mittlerweile fast 20 Jahren sieben Personen alle Einkommen und Ausgaben vergemeinschaftet hatten. Der Ansatz löste sehr große Resonanz und Neugier bei mir aus, sodass ich direkt das entsprechende Buch dazu bestellte und las. Im Verlauf der nächsten Wochen erzählte ich zwei sehr guten Freunden von der Idee. Eine Freundin war auch spontan begeistert von dem Ansatz und ein Freund hatte erst kürzlich einen Workshop zu gemeinsamen kleinen Ökonomien besucht und war auch gerade von dem Thema angefixt. Bei einem gemeinsamen Ausflug in die Sächsische Schweiz redeten wir drei nochmals über die Idee, unsere Einkommen zusammenzulegen und waren alle sofort Feuer und Flamme. Spontan zeigten wir uns unsere Kontoauszüge und die jeweilige gegenwärtige finanzielle Situation. Ich selber hatte noch nie irgendjemandem so genau meine Finanzen und Ausgaben offen gelegt und war erst etwas aufgeregt, dieses „Tabu“ zu brechen. Überraschenderweise war die Erfahrung jedoch kein bisschen unangenehm, sondern eher positiv erleichternd. Gleichzeitig war es auch relativ unspektakulär, die Finanzen der anderen zu sehen und wofür diese ihr Geld ausgeben.
Abschließend vereinbarten wir ein weiteres Treffen, um konkretere Schritte zu durchdenken.

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Auch bei diesem Treffen waren wir weiterhin begeistert von der Idee. Mittlerweile schien es uns witzigerweise geradezu abwegig, unsere Finanzen zukünftig nicht zusammenzulegen. Das mag komisch klingen, aber es erschien uns einfach als logischer Schritt angesichts unserer Werte und Prinzipien, nämlich zu vertrauen, zu teilen und sich auszuhelfen. Die Verteilung von Einkommen und Vermögen ist in unserer Gesellschaft häufig einfach sehr unfair und die Finanzkoop daher ein Hinterfragen dieser üblichen Strukturen. Wir drei kannten uns zudem sehr gut, hatten ein tiefes Vertrauensverhältnis und einen ausgesprochen konstruktiven Umgang mit Spannungen und Konflikten. Wir diskutierten beim Treffen also konkrete Umsetzungsmöglichkeiten und auch dabei herrschte große Einigkeit. Der größte Diskussionspunkt war amüsanterweise, ob wir für unsere gemeinsame Kommunikation eine Chat-Gruppe mit dem Messenger Telegram oder mit Signal führen sollten. Da uns das Projekt jedoch als sehr große Entscheidung schien und ich auch noch mit einem Bekannten sprechen wollte, der selbst in einer Finanzkooperative war, vereinbarten wir nochmal ein Treffen ein paar Wochen später, um dann ggf. zu starten.

Bei diesem Treffen war die Stimmung anfangs eher schwierig. Bei Zweien war die aktuelle finanzielle Lage angespannt und es gab Bedenken so zu beginnen. Vielleicht wäre es daher besser, zu warten und mit mehr finanzieller Fülle starten. Als wir über diese Bedenken redeten und auch die Angst, für andere zur Last zu fallen, kam eine so unterstützende und positive Resonanz auf, dass die Stimmung wieder ins Positive und Begeisterung für die Idee umschwenkte. Die Grundidee einer Finanzkoop war ja schließlich, sich gerade in schwierigen Phasen auszuhelfen. Kurzerhand beschlossen wir, die Finanzkoop direkt an diesem Tag, dem 12. Februar 2020, zu starten. Die Stimmung war euphorisch. Kurzerhand liefen wir zum nächsten ATM, schenkten uns gegenseitig Geld und steckten uns heimlich Scheine zu. Mein Geld ist dein Geld.

Die Vereinbarungen

Jede Person bringt ca. 2000€ Vermögen ein und das gesamte zukünftige Einkommen.

Wir treffen uns einmal monatlich, um über die finanzielle Situation, Spannungen, Bedürfnisse und besondere Ausgaben zu sprechen.

Bei Ausgaben über 100€ sollte man die anderen nach deren Rat fragen, ist aber weiterhin frei, selbstbestimmt zu entscheiden („Beratungsprozess“). Bei Ausgaben darunter muss man nicht um Rat fragen, kann dies aber gerne trotzdem tun.

Im deutschen Bankwesen sind Finanzkooperativen über die Zweier-Ehe hinaus definitiv nicht vorgesehen. Konten gehen maximal zu zweit. Wir behelfen uns daher mit einem gemeinschaftlichen Konto, das zwar offiziell nur im Besitz einer Person ist, zu dem die anderen beiden aber via Vollmacht Zugang bekommen. Ansonsten behält jeder auch noch ein separates Konto für die eigenen Einnahmen und Rechnungen als Selbstständige, da nur so der eigene Name auf die Rechnungen kann. Prinzipiell sind aber auch diese Konten bzw. das Geld darauf im gemeinsamen Besitz und alle Einnahmen werden auf das gemeinsame Konto umgeleitet.

Das Ganze probieren wir erstmal für sechs Monate aus und wenn alles gut läuft, werden nach dieser Probephase ggf. auch Vermögen kollektiviert.

Bei Zerfall der Finanzkoop oder Austritt einer Person wird ein Drittel des Geldvermögens an alle ausgezahlt, es sei denn, es besteht Konsent zu einer stimmigeren Aufteilung.

Bisherige Erfahrungen

Bisher sind wir alle von dem Projekt ausgesprochen begeistert. Beim Gründungstreffen erzählte ich von drei kleineren Ausgaben, die ich gerade plante: Pfanne, Küchenmesser und Kopfhörer. Witzigerweise hatten die anderen beiden alle drei Produkte gerade über, sodass ich mir den kompletten Einkauf sparen konnte. Auch Alltagsausgaben sind unkomplizierter. Wenn man zusammen essen geht, einkauft oder gemeinsam etwas verschenkt, ist einfach absolut egal, wer bezahlt. Auch ist es bei manchen Ausgaben erleichternd, nicht alleine vor der Entscheidung zu stehen. Manchmal gibt es interessant-witzige Momente: Als ich beispielsweise einen Freund zum Essen einlud, fiel mir auf, dass ich jetzt im Plural von der Einladung sprechen konnte. „Es war uns eine Freude, dich einzuladen.“

Der Ansporn, Geld zu verdienen und damit in unsere Gemeinschaft einzubringen ist bei einem von uns mit dem Start unserer Finanzkoop interessanterweise stark angestiegen. So viel zum Thema Homo Oeconomicus. Allgemein fühlt sich das Projekt für uns häufig an wie ein Tabubruch, aber ein sehr guter und vielleicht auch überfälliger.

Bisher gibt es keinerlei Bedenken, dass es Vertrauensbrüche, unklärbare Konflikte oder Probleme gibt. Das mag naiv klingen, aber wir haben einfach schon einige gemeinsame intensive Prozesse hinter uns und ich wüsste wirklich nicht, was da kommen sollte, das wir mittlerweile nicht durch offene Kommunikation und eine reflektierte Grundhaltung klären können. Bei engen Freundschaften ist zudem das Konfliktpotential geringer als bei romantischen Beziehungen.

Übrigens haben wir unsere Finanzkoop „Metazorn“ getauft. Dies ist Ausdruck dafür, dass wir wütend auf die Ungerechtigkeiten des gegenwärtigen Geld- und Wirtschaftssystems sind, aber unseren Zorn konstruktiv in die Gründung unserer Finanzkoop umleiten (quasi auf der „Metaebene“ reflektiert). „Finanzcoop oder Revolution in Zeitlupe“, heisst passenderweise auch das entsprechende Buch, das ich anfangs erwähnt hatte.

Ich bin sehr gespannt auf die nächste Zeit und werde in sechs Monaten nach Ablauf der Probephase nochmal berichten. :-)