Mein Geld ist dein Geld - Gründung einer Finanzkooperative, Teil 2

Vor einem halben Jahr schrieb ich über die Gründung einer Finanzkooperative zusammen mit zwei guten Freunden einen Beitrag. Nach sechsmonatiger Testphase unserer Finanzkooperative mit dem Namen “Metazorn” ist es Zeit für eine Evaluation und einen Zwischenbericht.

Um es gleich vorweg zu nehmen: Unsere Finanzkoop läuft weiterhin fantastisch! Wir sind allesamt unglaublich begeistert, dass wir dieses Experiment gewagt haben und bei einem Treffen zum Abschluss der Testphase haben wir voller Enthusiasmus entschieden, mit ein paar Modifikationen weiterzumachen.

Rückblick auf sechs Monate “Metazorn”

Viel war passiert im halben Jahr der Finanzkoop-Probephase. Kurz nach unserer Gründung im Februar schlug der Corona-Lockdown ein und führte zu einigen interessanten Entwicklungen. Paradoxerweise ist in dieser Zeit bei uns jedoch kein Geldmangel, sondern finanzielle Fülle eingekehrt. Ich bekam 5000€ Corona-Selbstständigen-Hilfe, eine andere Person bekam ein üppiges Seminar-Honorar und der Dritte im Bunde eine Gehaltserhöhung. Plötzlich hatte sich unser 6000€-Startkapital mehr als verdoppelt. Dies fühlte sich für uns fast wie eine kosmische Belohnung dafür an, dass wir mit unserem Experiment in das Vertrauen und die Solidarität gesprungen waren. Wir konnten es kaum glauben und feierten die neu gewonnene finanzielle Fülle. Zwischenzeitlich hörte ich von einer anderen Finanzkooperative, die eine Erbschaft über mehrere Hunderttausend Euro bekommen haben. Machen Finanzkooperativen etwa reich?!

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Interessanterweise hat diese überraschende Fülle bei uns allen eine spontane Großzügigkeit erzeugt und den Wunsch, den Geldsegen mit Menschen zu teilen, die durch die Corona-Krise in Schwierigkeiten gekommen waren. Zwei Personen aus unserem Bekanntenkreis bekamen daher finanzielle Zuwendungen von uns und allgemein diskutierten wir darüber, wie und in welchem Umfang wir Geld verschenken wollen.

Dennoch schaffte die Corona-Krise auch tiefe Unsicherheiten, Ängste und Gefühle von Kontrollverlust, die ein klärendes Gespräch lösen konnte, sodass die gemeinsame Intention zur Finanzkoop sich weiter festigte.

Außerdem entschieden wir, einen strukturellen Sicherheitspuffer von 10.000€ einzuführen. Darunter wird tendenziell gespart, darüber kann Geld für sinnvolle Projekte gespendet oder zur Erfüllung besonderer Wünsche eingesetzt werden. Zudem stellten wir fest, dass es zur Erfüllung des Sicherheitsbedürfnisses mehr Transparenz über unsere finanzielle Situation brauchte und führten einen monatlichen Finanzüberblick ein, in dem unser jeweiliges Gesamtguthaben und die Einnahmen und besondere Ausgaben offen gelegt werden. Diese Übersicht vereinfacht unseren Austausch über unsere Finanzen enorm, da wir nun immer wissen, wie die finanzielle Lage ist.

Zudem veröffentlichte ich mein Buch „Utopia 2048“ und die anderen beiden halfen mir bei Entscheidungen zum Buchpreis und zu Ausgaben. Dies erleichterte mir vieles. Beide waren interessanterweise hochmotiviert, mir beim Marketing zu helfen - schließlich sind meine Bucheinnahmen auch ihre Bucheinnahmen!

Der Alltag

Insgesamt ist vieles im Alltag angenehm unkompliziert und einfach. Im Restaurant oder bei gemeinsamen Einkäufen erübrigt sich die Frage, wer bezahlt. Es ist einfach völlig egal. Eigentum kann geteilt und verschenkt werden. Es ergibt schließlich keinen Sinn, wenn jemand das gemeinsame Geld für etwas ausgibt, was ein anderer schon besitzt und teilen kann. Bei gemeinsamen Urlauben oder Ausflügen müssen wir nichts auseinanderrechnen. Das ist unglaublich entspannend. Wenn sich solche Abrechnungsfragen mit anderen Freunden, die nicht in der Finanzkoop sind stellen, nervt mich das mittlerweile zusehends. Wie wäre es wohl, mit all meinen Freunden und Freundinnen in einer Finanzkoop zu sein?

Auch entstehen immer wieder spontan witzige Situationen: In der S-Bahn fragte mich mein Finanzkoop-Kollege nach einer Plastiktüte, weil er noch zum Supermarkt wollte. Ich bot ihm an, ihm eine für 3€ zu “verkaufen”. Er gab mir amüsiert das Geld und ich gab ihm im Gegenzug einen 50€-Schein als “Wechselgeld”. Falls andere Fahrgäste die Transaktion beobachtet haben, müssen die gedacht haben, dass wir spinnen.

Regelmäßig gibt es Konversationen wie: “Brauchst du Bargeld?” - “Hm, ja.” - “Dann nimm das! [Ein 50€ Schein wird geworfen.]”

Interessanterweise machten wir alle die Erfahrung, dass es Freude bringt, Geld in unser Kollektiv einzubringen (und tatsächlich keinerlei heimlichen Ärger, die eigenen Einnahmen teilen zu müssen). Eine Person bekam sogar den verstärkten Wunsch, mehr zu verdienen und damit mehr Geld zur Gemeinschaft beizutragen. Das Einkommen hatte vorher zwar für den Eigenbedarf dieser Person gereicht, aber Geld in die Finanzkoop einzubringen, schafft zusätzlichen Sinn. Generell widerlegten sich bei uns die Annahmen des Homo Oeconomicus wieder und wieder.

Ich persönlich fühle mich mittlerweile vollkommen tiefenentspannt im Hinblick auf meine Finanzen. Als Autor und Selbstständiger ist meine Einkommenslage allgemein sehr unsicher und die Zukunft sowieso vollkommen ungewiss, aber über die Finanzen mache ich mir dank der Finanzkoop keinerlei Sorgen mehr. Mal verdiene ich mehr Geld, mal wer anders. Gemeinsam sind wir stark.

Herausforderungen und Weiterentwicklungen

Im Mai kriselte es in wenig. Eine Person hatte mit einigen persönlichen Herausforderungen und privaten Konflikten zu kämpfen und erlebte den Verlust der eigenen finanziellen Autonomie durch die Finanzkoop in dieser Zeit als zusätzliche Verunsicherung. Auch die Verknüpfung von Freundschaft und gemeinsamen Finanzen wurde als Bedrohung wahrgenommen. In dieser Zeit gab es zusätzlich auch auf persönlicher Ebene einige schwere Konflikte zwischen uns (unabhängig von Metazorn), sodass Verunsicherung entstand, ob es überhaupt weitergehen würde.

Dazu kam noch ein Konflikt zum Thema Fliegen und Umweltschutz, den einige Missverständnisse in der Kommunikation erschwerten. Letztlich wendete sich jedoch das Blatt und wir fanden zur Klärung und zu neuen Erkenntnissen. Die Flugreise wurde zur Über-Land-Reise, auf die sogar große Lust entstand: Der Weg ist das Ziel. Entschleunigung und Abenteuer wurde die Devise.

Auch die über Wochen immer wieder aufkochenden persönlichen Konflikte zwischen zweien von uns fanden schließlich ein Ende und zusammen mit vielen neuen Erkenntnisse zum Umgang mit Konflikten und Spannungen, entstand ein noch festeres Fundament unserer Freundschaft als zuvor. Immer häufiger schaffen wir es, Ärgernisse und Trigger (die bei uns häufig vorkommen) frühzeitig und sehr direkt in einem achtsamen Rahmen auszudrücken. Solches Streiten machte teilweise richtig Spaß!

Ansonsten haben wir die Grenze von 100€, ab der Ausgaben abgesprochen werden müssen, aufgehoben. Mehr und mehr war das Bedürfnis entstanden, einerseits Ausgaben, die eh bewilligt werden (z.B. ein dringendes Coaching) nicht mit anderen absprechen zu müssen und andererseits die Ausgaben der anderen nicht “abnicken” zu müssen (auch wenn unser “Beratungsprozess” letztlich formal jeder Person die volle Entscheidungsautonomie überlässt). Da wir mittlerweile auf die gegenseitige Aufrichtigkeit und Verantwortlichkeit im Umgang mit Geld absolut vertrauten, entschieden wir schlichtweg, die Beratungspflicht für Ausgaben ab 100€ einfach ersatzlos aufzuheben. Dieser Schritt fühlte sich gut und leicht an und der Austausch und die Einigung dazu gingen überraschend schnell und unkompliziert. Natürlich bestand weiterhin die Einladung, sich Rat zu Ausgaben einzuholen (die kollektive Intelligenz legt manchmal unerwartetes Sparpotenzial frei) und der Wunsch, über höhere Ausgaben informiert zu werden.

Evaluation der Probephase - wie weiter?

Ende Juli, nach knapp sechs Monaten Probezeit, trafen wir uns zur Auswertung unseres Experiments und zur Frage ob und wie es weitergehen soll.

Wir alle waren weiterhin begeistert vom gemeinsamen Wagnis. Für mich fühlte es sich mittlerweile selbstverständlich an, gemeinsam zu wirtschaften und die Vorstellung, wieder getrennte Konten zu führen, erschien mir geradezu absurd. Ich witzelte, dass ich mir schon gar nicht mehr vorstellen könne, irgendwann nicht mehr in einer Finanzkoop mit meinen besten Freunden zu sein. Was soll sowas? Warum kompliziert, wenn es auch einfach geht?
Ich wollte also unbedingt weitermachen und die anderen zum Glück auch. Schnell stand damit der Entschluss, dass es weiter geht. Ein Grund zum Feiern!

Insbesondere begeisterte uns, dass wir die Krise gut bewältigt hatten, neue positive Erfahrungen zum Umgang mit Geld gemacht hatten und in den vergangenen Monaten viele Unsicherheiten und Trigger zu Geld reflektiert und gelockert hatten. Generell hat sich bei allen von uns die Beziehung zu Geld verbessert und ist leichter geworden. Eine Person hatte zwischenzeitlich mit einigen Ängsten und Verunsicherungen gekämpft und war besonders dankbar über die neuen positiven Erfahrungen dank unserer Finanzkooperative und unserem konstruktiven Konfliktumgang.

Wir beschlossen jedoch, dass die gemeinsame Entscheidung für das Weiter nicht die Vehemenz einer Entscheidung bis zum Lebensende haben sollte, sondern die Möglichkeit einschließt, dass es irgendwann vielleicht nicht mehr passt. Ja, wir wollten alle weitermachen und das Projekt aufrechterhalten, auch und gerade wenn es herausfordernd wird. Aber falls das Ganze irgendwann nicht mehr stimmig sein sollte, dann darf das auch so sein und muss kein Scheitern bedeuten. Leben bedeutet Veränderung und die zahllosen Ehe-Scheidungen auf der Welt verdeutlichen nur zu gut, dass auch ein lautes Ja aus voller Brust heraus und mit besten Absichten sich manchmal irgendwann nicht durchziehen lässt.
Diese Grundhaltung brachte noch mehr Leichtigkeit für unser Projekt und nahm etwas Schwere, nun um jeden Preis unser Projekt durchziehen zu müssen.

Auf der Agenda stand ansonsten noch das Thema Rente, denn einer Person war Sicherheit und Planbarkeit gerade wichtig. Nach etwas Überlegung beschlossen wir, dass bis zu 20% der jeweils eigenen Einnahmen einem privaten Rentensparkonto zugeführt werden können und dass bei Auflösung unserer Finanzkoop diese Guthaben bei der jeweiligen Person verbleiben. Bei Festangestellten passiert über die gesetzliche Rentenversicherung schließlich genau das Gleiche, ob wir wollen oder nicht und mit dieser Modifkation wird nun ein Ausgleich geschaffen.

Außerdem sprachen wir über den Umgang mit Vermögen und potentiellem Erbe. Ursprünglich war geplant, nach der Probephase auch die bisher noch privaten Vermögen (die über die 2000€ Startkapital, die jede Person eingebracht hatte, hinausgehen) in den Kollektivbesitz aufzunehmen. Wir tauschten ein paar Gedanken und Überlegungen dazu aus, kamen aber zu keinem klaren Ergebnis, das sofort für alle stimmig erschien. Daher beschlossen wir, diese Themen nochmal zu vertagen. Dabei inspirierte uns das Prinzip von organischem Wachstum: Nichts überstürzen, sondern einen Schritt nach dem anderen gehen.

Ausblick

Nach der Entscheidung zum Weitermachen überlegten wir, mit welchen Intentionen und Wünschen wir weitermachen wollten.

Erstens hatten wir alle Lust, perspektivisch noch ein bis zwei weitere Leute aufzunehmen und werden in nächster Zeit die Augen und Ohren offenhalten.

Zweitens hatten alle Ambitionen bekommen, mehr Geld zu verdienen und unser gemeinsames Vermögen auszubauen. Einerseits wollen wir uns mehr leisten können - jedoch nicht Ramsch für die Müllhalde und überflüssigen Luxus, sondern Investitionen in die eigene Persönlichkeitsentfaltung und in hochwertige, nachhaltige und sinnvolle Produkte. Andererseits hatten wir Lust auf das Unterstützen und Anschieben von progressiven Projekten für gesellschaftlichen Wandel.

Drittens wollen wir mit unseren Erfahrungen in die Öffentlichkeit treten und andere an unseren Erkenntnissen teilhaben lassen (daher auch dieser Bericht). Vielleicht wird es auch noch Youtube-Videos geben.

Viertens wollen wir mit unserer Finanzkoop einen neuen Umgang mit dem Themenfeld Vertrauen, Abhängigkeit, Freiheit und Sicherheit erforschen und aufbauen. Wie können wir in der gemeinsamen Finanzkoop-”Abhängigkeit”, Freiheit und Sicherheit erfahren? Wie kann Vertrauen gerade durch die Verbindung entstehen und bleiben?
Wir hoffen, Wege zu finden, die klassischen Gegenpole von Freiheit und Sicherheit zu transzendieren.

Abschließend stellten wir fest, dass sich unser bisheriger Name “Metazorn” nicht mehr stimmig für uns anfühlte. Unsere Gründung hatten wir als einen heroischen Akt entgegen der üblichen Geldlogik erlebt. “Metazorn” drückte daher auch unsere Frustration und Empörung über die Ungerechtigkeit des üblichen Umgangs mit Geld aus, der wir mit unserer Finanzkoop etwas Konstruktives entgegensetzen wollten.
Mittlerweile fühlte sich unser Projekt jedoch nicht mehr wie ein heroisches Wagnis an, sondern überwiegend leicht, flowy und irgendwie selbstverständlich. Als neuer Name wurde daher “Metatrust” auserkoren. Die Doppelbedeutung aus Metastiftung und Metavertrauen passte perfekt. (Vielleicht werden wir uns irgendwann noch zu „Metaabundance“ weiterentwickeln).

Mit unserer Finanzkooperative haben wir eine kleine Realutopie geschaffen, in der wir unsere Werte von Vertrauen, Fülle, Solidarität und Großzügigkeit schon jetzt im Kleinen leben können. Das fühlt sich unheimlich gut an. Das ist die Welt, in der wir leben möchten.
Möge dieses Experiment daher lange weiter bestehen, noch mehr Kraft entfalten und andere inspirieren.

Lang lebe Metatrust!